Das Bild des Priestertums in der antikjüdischen Literatur nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels – Aspekte eines religiösen Transformationsprozesses

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(gefördert von 2009 bis 2013)

Das Forschungsprojekt versteht sich als religionsgeschichtlicher Beitrag zur Analyse von Entwicklungstendenzen innerhalb der jüdischen Religion in einer Zeit mehrfacher Umbrüche. Die Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n. Chr. ist ein einschneidendes Ereignis in der Geschichte des Judentums, das eine Neukonzeption und Neuorganisation der jüdischen Religion bedingte. Religionsgeschichtlich sind an Fortbestehen und Veränderungen einer Religion aufgrund veränderter religiöser, historischer, politischer und gesellschaftlicher Grundkonstituenten die Phänomene kontinuierlicher Transformation, Umwertung und Ableitungen religiöser Überlieferungen und Traditionen zu studieren.

Im Rahmen des Forschungsprojekts werden Entwicklungstendenzen und Veränderungen am Beispiel der Transformation und Weiterentwicklung des Bildes der Priester und des Priestertums und seiner Funktion im Zusammenspiel von Mensch und Gott nach dem Ende des Tempelkults analysiert.

Das Ziel dieses Projektes besteht darin, das Bild vom Priestertum innerhalb des Judentums nach der Tempelzerstörung 70 n. Chr. in seinen unterschiedlichen Formen und Funktionen anhand der einschlägigen literarischen Quellen zu eruieren. Dabei liegt der Schwerpunkt der Arbeit nicht in einer historisch verifizierbaren Geschichte des Priestertums. Vielmehr geht es darum, die religiöse Kategorie „Priestertum“ nach Ende des Tempelkultes zu umschreiben. Dabei gilt das besondere Interesse möglichen Transformationsprozessen und ihren Konsequenzen. Die Studie zielt nicht darauf ab, einzelne priesterliche Traditionen und Motive monolithisch zu betrachten, sondern die verschiedenen Elemente des Priesterbildes nach der Tempelzerstörung 70 n. Chr. auf der Basis einer breit gefassten Bestandsaufnahme zu erfassen. Erst eine breit gefasste systematische Bestandsaufnahme priesterlicher Themen, Motive und Traditionen schafft eine verlässliche Textbasis, die eine systematische Ableitung, Wertung und Gewichtung bestimmter religiöser Traditionselemente und Motive und damit Teile des literarischen Priesterbildes ermitteln lässt.

Methodisch ist zunächst eine breite Aufarbeitung verschiedener Aussagen zu Priestern und Priestertum in der einschlägigen Literatur notwendig. Zunächst ist das priesterliche Material der frühjüdischen Schriften des 1. Jh. n. Chr. (Josephus und Pseudepigraphen), der frühen rabbinischen Literatur (Mischna, Tosefta, halachische Midraschim) sowie der palästinischen Targumim und der Gemara der Talmudim zu erheben. Dabei sind sowohl deskriptive als auch metaphorische Aussagen zu Priestern im Allgemeinen und namentlich erwähnten Priestern zu berücksichtigen. Die Erhebung und Auswertung des Quellenmaterials aus der rabbinischen Literatur muss zwei kritische Punkte berücksichtigen: zum einen die schwierige Datierung der rabbinischen Literatur und zum anderen die Tatsache, dass den Rabbinen als Initiatoren von Mischna, Midraschim und Talmudim eher eine kritische Haltung gegenüber Priestern und Priestertum zu unterstellen ist, obgleich sie als Toralehrer priesterliche Themen in der Mischna, den halachischen Midraschim und den Talmudim diskutieren. Für die Aufarbeitung und Bewertung des Priesterbildes der rabbinischen Literatur bedeutet dies, die immens große Quellengrundlage kritisch und immer wieder gegen den Strich d.h. im Blick auf und gegen die Aussageintention der Rabbinen zu lesen.

Das Priesterbild, das sich aufgrund der Bestandsaufnahme des Quellenmaterials herausbildet, ist dann besonders im Blick auf die verschiedenen Aspekte eines religiösen Transformationsprozesses zu analysieren.

Aufgrund des bereits bearbeiteten Quellenmaterials lässt sich ein vielschichtiges Priesterbild erkennen, in dem Priester als Schuldige wie auch als Opfer der Tempelzerstörung, als offizielle Repräsentanten der jüdischen Religion nach der Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. aber auch als kultische Handlanger der Rabbinen geschildert werden. In dieser Vielschichtigkeit, welche die verschiedenen Intentionen der jeweiligen Autoren reflektiert, zeichnen sich die Grundtendenzen von Umwertung und Transformation, letztlich aber der Integration des Priestertums in ein verändertes Religionssystem ab. Welches die veränderten Elemente des Priesterbildes sind und welche Funktion und Wirkung sie innerhalb des jüdischen Religionssystems entfalten, ist Ziel der Studie. Dabei steht besonders die theologisch-konzeptionelle Bedeutung eines veränderten Priesterbildes im Fokus des Interesses.

Das Projekt besitzt das Potential, einen Beitrag für andere wissenschaftliche Teildisziplinen zu erbringen, so für die frühe jüdische Mystik, für die Erforschung der Institution der antiken Synagoge und deren Symbolreservoir sowie für die Entwicklung und Bedeutung der jüdischen Liturgie. Die religionswissenschaftliche Bedeutung des Themas zeigt sich in dem paradigmatischen Umgang mit Krisenphänomenen und dem Umbau religiöser Systeme